Colors Of Kemah
Ein jähes Ende
Zeitbedarf: ~25 Min.
Die Türkei ist riesig. Wenn man von Wien in die Osttürkei fährt hat man in Istanbul erst rund die Hälfte des Weges geschafft. Man kann zwar auch in der Türkei Kilometer fressen, jedoch ist es viel zu schade. Alle paar Kilometer stößt man auf einen altertümlichen Schatz, freundliche Menschen und eine vielfältige, grandiose Landschaft, in der man gerne länger verweilt und sich genauer umsieht.
So kam ich an den noch "jungen" Euphrat mit dem Munzur-Gebirge im Hintergrund und war von der Landschaft vollends angetan. Ich beschloß, abseits der Hauptstraße, welche in einem großen Bogen dieses Land meidet, dem Fluss zu folgen. In meiner Karte war eine kleine Straße entlang des Flusses verzeichnet. Aber was wissen mitteleuropäische Kartografen von diesem Land. Ich denke eher, sie haben "Malen nach Zahlen" erfunden. Zunächst war ich guter Dinge, denn auch eine einspurige Eisenbahnlinie verläuft dem Fluss entlang. Desto tiefer ich in dieses Tal eindrang, umsomehr fühlte ich mich in einer Filmkulisse und nicht in der Realität. Der Fluss mäandert zwischen den Felsen, welche alle paar Meter ihre Farben wechselten. Rot, Weiß, auch Grün und dazwischen das unbunteste Grau, dass ich je gesehen habe. Kaum fruchtbares Land dazwischen, aber wenn, dann ordentlich saftig und dann waren auch einige Menschen und ihre Behausungen anzutreffen. Diese Farbenorgie war auch der Namenspatron für diesen Beitrag.
Das Tal in dieser biblischen Landschaft war manchmal ganz eng und schroff und dann weitete es sich wieder. Auch einige Wege ins Gebirge zweigten ab. Doch dann wurde es ganz eng. Der Fluss zwängte sich durch eine Schlucht, die Eisenbahnlinie verschwand in einem Loch im Berg und die Straße endete auf einer Wiese. Naja, richtige Straße war es ja schon längst nicht mehr. Aber wozu fährt man KTM. Ich versuchte die Schlucht irgendwie zu umfahren, meine Bogen ins Gebirge wurden immer größer, doch konnte ich keinen Weg finden.
Nach einem strapaziösen Geländetag gab ich am frühen Abend mein Vorhaben auf und wollte zurück in den letzten größeren Ort Kemah fahren. Den ganzen Tag mit vollem Gepäck über Stock und Stein hat mich ziemlich müde gemacht. Ein Zimmer und vielleicht eine Dusche könnte ich nur dort finden. Meine Konzentration ließ nach, was sollte jetzt nach diesen gemeisterten Schwierigkeiten auf den letzten Kilometern noch sein und da passierte es. Für eine enge Kurve war ich viel zu schnell. Beim Aufprall am Boden fühlte ich starken Schmerz in der Schulter und dachte noch, wie gut mein Helm ist, während ich mit ihm gräßlich hörbar über den Schotter schrammte. Dann ging es eine Böschung einige Meter abwärts, die KTM seitlich vor mir. Zum Glück war hier Wiese und kein felsiger Abgrund. Als ich aufstand stellte ich fest, dass ich meinen rechten Arm nicht gebrauchen konnte. Die KTM lag kopfüber in der Böschung auf einer Strauchgruppe. Langsam rann aus der Entlüftungsleitung der Sprit. Das Motorrad auf die Beine zu stellen war mir mit einer Hand unmöglich. So nestelte ich nach etwas Geeignetem, um den Entlüftungsschlauch zu verschließen. Vor adäquatem Hintergrund, die biblische Geschichte nachzuspielen war nicht in meinem Sinn. Brennender Dornbusch mit KTM, nein. In den Ort waren es noch ca. 3-4km und so beschloß ich, beim Motorrad zu bleiben. Nach ungefähr einer halben Stunde kam auch wirklich ein Auto des Wegs. Die zwei Männer holten das Motorrad vom Strauch und stellten es auf. Jetzt waren wir aber alle einige Meter unterhalb der Straße und es war nicht abzusehen, wie das Motorrad wieder hinauf kam. Das war jetzt aber egal, sie brachten mich in den Ort zur Krankenstation. Dies war kein Spital, sondern nur eine Station mit einem jungen, lustigen Arzt und einer Schwester. Der Arzt konnte zum Glück Englisch und war somit wahrscheinlich der einzige Mensch im Ort, mit dem ich mich verständigen konnte. Seine Diagnose Schlüsselbeinbruch war zutreffend, wie sich später beim Röntgen verifizieren ließ. Während des Anlegens eines Stützverbands stürmten plötzlich drei Polizisten herein. Schwerst bewaffnet und an ihren düsteren Mienen war zu erkennen, wie ernst sie es meinen. Der Arzt übersetzte, aber es war offensichtlich, dass sie mir nicht Glauben schenkten. Wie sollten sie, die jeden Tag hier verbringen, auch glauben, dass jemand aus Österreich wegen ihrer Landschaft hierher kommt. Das war für sie nicht vorstellbar. Eine halbe Stunde später, als sie meinen vorübergehend beschlagnamten Fotoapparat nach meinen Instruktionen inspizierten, hörte man das eine "Ahh" oder "Ohh" und einige Jokes vom Doktor erledigten den Rest. Der Bann war gebrochen. Später erfuhr ich, dass ein Monat zuvor in der Nacht vor der Polizeistation ein Auto hielt und mit Maschinenwaffen die Polizeistation unter Feuer genommen wurde. Dabei wurden 2 Polizisten getötet und mehrere schwer verletzt. Unter solchen, für uns unvorstellbaren Umständen wird das Mißtrauen verständlicher.
Nach dem "Kennenlernen" waren sie umso zuvorkommender. Sie haben mir ein Zimmer mit Dusche um € 0,50 besorgt. Meine Hose war zerrissen, also sind wir auf Streife, Hose kaufen, gefahren. Ein Taxi wurde für kleines Geld organisiert, welches mich ins 70km entfernte Spital nach Ercinzan zum Röntgen brachte. Der Fahrer wurde von ihnen instruiert und musste mich überall hinführen und auch mit den Ärzten reden, denn mich verstand ja keiner. Das Motorrad wurde von ihnen noch am gleichen Tag geholt und auf der Polizeistation untergebracht. Außer ein paar Schrammen und einer verdrehten Lenkerarmatur fehlte der Kathi nichts. Mit dem Polizisten, der ursprünglich der Gefährlichste war, verstand ich mich nachher besonders gut. "Zeki" hieß er, hat mich gebeten, ob er einmal fahren dürfe. Freudestrahlend kam er zurück. Ich konnte nicht heimfahren, denn meinen rechten Arm konnte ich nicht vorstrecken, dies tat höllisch weh. Solo heimfahren ging auch nicht, denn das Motorrad war ja in meinem Pass eingetragen. So musste ein Abschleppdienst organisiert werden, der das Motorrad zum Zoll nach Trabzon brachte. Dies nahm einige Tage in Anspruch. Währenddessen wurde ich von den verschiedensten Polizisten nach Hause zum Essen eingeladen. Sehr oft aber von Zeki. Seit dieser Zeit schätze ich die Vorzüge eines Koffersystems, denn zum Heimtransport und auch für den Zoll darf nichts am Fahrzeug verbleiben, was nicht fix montiert ist. Was man mit dem Gepäck in Packsäcken in so einer Situation macht, weiß ich nicht. So mussten wir nur noch einmal auf Streife fahren, um eine Reisetasche zu besorgen und ich habe umgepackt. Anschließend war ich in Trabzon und habe beim Zoll die Kathie aus meinem Pass austragen lassen und die Papiere erledigt, damit der ÖAMTC das Motorrad später heimholt. Dann konnte ich endlich via Istanbul nach Hause fliegen.
Von Zeit zu Zeit telefoniere ich mit Zeki. Das heißt, ein türkischer Freund bekommt mein Telefon und dolmetscht. Einige Jahre später, Zeki lebt inzwischen rund 120km von Istanbul, habe ich ihn und seine Familie besucht. Die Freude war auf allen Seiten groß.
Mit Hopala im Tank kann auch nicht viel anderes passieren. Aber trotz aller Widrigkeiten war es eine unvergeßliche Reise. Ich möchte jedem raten, beim Reisen den besuchten Orten die entsprechende Zeit und Aufmerksamkeit entgegen zu bringen. Außerdem sind die meisten Menschen, anders als man es bei uns oft hört, viel freundlicher und hilfsbereiter, als wir uns vorstellen.
Das folgende Video ist lediglich eine Diashow in einer antiqitierten Bildqualität. Die Bilder sind bis auf die Ausnahme von 2 Postkarten und den Symbolbildern des Sturzes alle von mir. Ein Klick auf das Bild öffnet das Video in neuem Fenster.
Video: